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Die gepflegte Schrift
Kalligraphen gibt es schon, seitdem in irgendeiner Form geschrieben wird: ein alter Beruf also. Im Mittelalter war der Schreib- und Schriftkundige dadurch, dass er das Schreiben beherrschte, zugleich auch derjenige, der das Wissen bewahrte: der Amtsschreiber, der Notar. «Die Kunst des Schönschreibens» erfüllte denn auch während mehreren Jahrhunderten einen funktionalen Zweck: die Überlieferung von Fakten in Schönschrift. Schönschrift, weil diejenigen, die am schönsten schrieben, auch am meisten verdienten. Also lohnte es sich, eine gepflegte Schrift anzuwenden.
Die Kalligraphen verloren einen Teil ihrer Bedeutung mit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg in Mainz um 1450. Mit dem Vervielfältigen von Texten mit Hilfe von Bleibuchstaben und einer Druckerpresse war die Kunst des Schreibens abgeschwächt worden. Die Kalligraphie entwickelte sich somit je nach Kontinent in den Folgejahren unterschiedlich. Die arabische Kalligraphie zum Beispiel behielt ihre Vormachtstellung aufgrund des Bilderverbots im Koran. Die Schrift ersetzte
somit die fehlenden Bilder (Kalligramme). In Asien, hauptsächlich im chinesischen Raum und in Japan, hat die Kalligraphie immer noch einen hohen Stellenwert, vor allem weil dort nach wie vor mit Zeichen geschrieben wird. Die westliche Kalligraphie hingegen wurde als Kunstform weiterentwickelt. Praktische Anwendungen findet man bei der Gestaltung von Urkunden, Plakaten oder Eintragungen (Wettbewerbe, Goldenes Buch usw.).
Entwicklung der Schrift über Jahrhunderte
Besonders in Irland entstanden Kleinode der Schreibkunst. In der Abgeschiedenheit der irischen Klöster entwickelten sich nationale Unterschriften, die mit der Zeit ihre Herkunft aus den römischen Halbuncial- und Uncialschriften vergessen liessen.
Als Beispiel dazu dient das «Book of Kells». Unter Karl dem Grossen kam es im 9. Jahrhundert zur Renaissance der Schrift. Unter seiner Regie wurde die Karolingische Minuskel eingeführt, eine Kleinbuchstabenschrift, die aus der römischen Unciale abgeleitet und der Schriftentwicklung der Klöster angepasst wurde. Aus praktischen Gründen entwickelte sich daraus die Textur, eine gebrochene Schrift mit strengem Aussehen, auch gotische Schrift genannt. In gotischer Schrift wurde auch die erste von Gutenberg gedruckte Bibel hergestellt. Im südeuropäischen Raum wurden rundere Formen als die gotische bevorzugt, und zwar die Rotunda.
1517 wurde die Fraktur entwickelt, die rasch im deutschen Sprachraum und bei den östlichen und südöstlichen Nachbarn eine starke Verbreitung fand. Bis ins 20. Jahrhundert werden die meisten deutschen Texte in Fraktur gesetzt. Erst ab 1920 kommt die Sütterlinschrift auf.
Mit der Erfindung des Computers tritt die Schriftgeschichte in ein neues Stadium. Weitausholende Schwünge und Verzierungen sind nicht mehr möglich, aber jeder kann perfekte Schriftstücke in einer hohen Anzahl produzieren.
Die Pflege der Schrift
In der Schweiz gibt es nach wie vor Kalligraphen, die die Kunst des Schreibens pflegen und davon auch leben können. Wir unterhielten uns mit Andreas Schenk, dem einzigen öffentlichen Kalligraphen der Schweiz. Schenk ist überzeugt, dass das Schreiben eine neue Zukunft vor sich hat, trotz der Vormachtstellung des Computers in allen Bereichen des Alltags. Mit der Schrift könne man «ausdrücken, was Worte meinen», sagt er. «Man kann ein Wort tief in sich einwirken lassen. Eine
Zen-artige Übung eigentlich, mit dem Unterschied, dass die asiatischen Schriftzeichen Bilder sind, während wir im Abendland abstrakte Zeichen verwenden.»
Die gute alte Feder
«Schöngeschrieben» wird in der Regel mit verschiedenen Stahlfedern, Kalligraphie-Füllfederhaltern oder Pinseln. Natürlich können auch die traditionelle Rohrfeder oder der Gänsekiel verwendet werden. Andreas Schenk besitzt in seinem scriptorium eine Sammlung von über 1000 Stahlfedern, gesammelt über die Jahre auf Flohmärkten, an Auktionen oder in Papeterien.
Gute Stahlfedern, so Schenk, sind lediglich bis in die 50er-Jahre entwickelt worden. Die heutige Qualität hält nicht mehr mit der damaligen Schritt. Als Rohmaterial dienten in Sheffield (England) speziell hergestellte Stahlplatten, die damals zu den
besten auf dem Markt zählten. Mit der sinkenden Nachfrage nach Federn verschwand dann auch das Produktionsverfahren, weil es nicht mehr kostendeckend war.
Zum Schreiben wird auch ein gutes Papier benötigt. Die Oberflächenstruktur ist wichtig. Die Oberfläche muss gut geleimt sein, damit die Schrift darauf nicht abfliesst. Zellstoff-Papier zerfällt nach ca. 70 Jahren, ist also nicht alterungsbeständig. Andreas Schenk verwendet als Tinte Eisengallus. Im Gegensatz zur Tusche saugt sich die Tinte in die Papier- oder Pergamentfasern ein
und färbt sie in dieser Weise. Sie ist somit mit dem Beschreibstoff fest verbunden. Bei Farben arbeitet Andreas Schenk mit aquarelle oder gouache, dementsprechend ausgemischt.
Zukunft der Schrift und der Schreibgeräte
Über die Weiterentwicklung der Schrift als solche macht sich Andreas Schenk keine Sorgen. Jede Entwicklung ist immer das Ergebnis von gesellschaftlichen und sozialpolitischen Bewegungen gewesen. Auch die Schreibutensilien sind Ausdruck eines Wandels. In der Regel führte die gesellschaftliche Entwicklung dazu, dass mehr Menschen schreiben konnten und die Nachfrage
nach Schreibwerkzeugen stieg. Unter anderem mit der Entstehung der Vereinigten Staaten im 18. Jahrhundert, die mit einer starken Einwanderung einherging, wurde nach praktischen und überall einsetzbaren Schreibgeräten gesucht.
Dies machten sich Firmen zunutze: Waterman brachte 1883 die erste Füllfeder auf den Markt. Er konstruierte einen Füllfederhalter mit einer Goldfeder, dessen Tintenleitsystem fein genug war, um die Tinte reguliert der Feder zuzuführen. Das «Waterman Regular» wurde 1884 patentiert. Die erste Auflage belief sich auf 500 Stück, handgefertigt! Auf dieser Erfindung beruhen alle Füllfederhalter, so Schenk. Die Bemühungen um weitere Verbesserungen in der folgenden Zeit betrafen, neben
der äusseren Gestaltung von Form und Design, vor allem die Spitze, die Feder.
Mit dem Zweiten Weltkrieg kamen die Kugelschreiber auf den Markt. Sie waren wesentlich einfacher zum Mitnehmen und unter anderem in der Luftfahrt (Kugelschreiber klecksen nicht) einsetzbar. Sie verdrängten zum Teil die Füllfeder gänzlich vom Markt, weil sie für gewisse Funktionen wie das Schreiben von Durchschlägen mit Kohlepapier ungeeignet waren, so Schenk. Die
Füllfeder hat ihre Funktion und Bedeutung wiedererlangt. Die Schönschrift ist ein Schrei gegen die Uniformität, eine Rückbesinnung auf die alten, bleibenden Werte.
Quelle: scriptura 2008 - S.15-19