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Was ist Schreiben und warum tun wir es?
Denken, Sprechen und Schreiben sind, weil alles Sprache ist, verwandt. Alle drei arbeiten mit den phonetischen Zeichen, auf die wir uns in diesem Kulturkreis geeinigt haben – wir denken, sprechen und schreiben in Wörtern. Sprache besteht aus Denk-, Mund- und Hand-Sprache. Die Sprache der Gedanken heisst Denken, die Sprache des Mundes wird sprechen genannt und die Sprache der Hand nennt man Schreiben – logisch. Das Denken war zuerst da, dann entwickelte sich das Sprechen. Das Schreiben kam erst wesentlich später hinzu.
Für die Handschrift, als für die grafische Kommunikation, ist im Gehirn keine evolutionsbedingte, lebenserhaltende Programmierung angelegt, denn Schreiben ist eine unnatürliche Errungenschaft der Menschheit, kein angeborener, unbewusster Bewegungsablauf, kein automatischer Reflex wie Laufen (Weglaufen) und Sprechen (Laute ausstossen), sondern muss vom Gehirn erst mühsam erlernt werden. Erwachsene müssen wissen, dass Schreiben lernen ebenso viel Zeit braucht, wie Sprechen oder Laufen lernen, weil es genauso kompliziert ist.
Früher war es lange Zeit normal, dass Kinder beim Schreiben lernen auf die Finger geschlagen wurden. Kein Wunder also, dass negative, traumatische Schreibgefühle seit Generationen in den Köpfen fortbestehen.
Der Weg zu einer besseren Handschrift ist lang. Geben Sie den Kindern Ruhe und Zeit, sie müssen erst verstehen, dass alles, was man denkt, spricht und schreibt, aus zusammengesetzten Buchstaben, aus Wörtern besteht und dass man deshalb alles, was man denkt und spricht, auch schreiben kann. Sagen Sie ihnen, dass sie Schreiben lernen, um Gedanken lesen zu können – die eigenen oder die anderen.
Das Schreiben der eigenen Gedanken funktioniert ungefähr so: Vorstellungsbilder und Gedanken sind schnell. Sie sind extrem unbeständig und ehe man weiss, was man gedacht hat, denkt man schon wieder an etwas anderes. Gedanken werden also immer schneller sein, als man schreiben kann. Keine hand kann so schnell schreiben, wie Gedanken gedacht werden, sie kann ihnen immer nur hinterher hasten. Deshalb sollte der, der seine Gedanken festhalten will, alles tun, um sich eine Handschrift anzueignen, die erstens lesbar ist und zweitens blitzschnell geschrieben werden kann.
Manche Gedanken müssen schnell geschrieben werden. Aber immer müssen sie vorher durch den Kopf gehen, sonst kann man sie nicht aufschreiben. Manchmal hat man das Gefühl, die Hand macht nicht was sie soll, dann sind die Gedanken für die Hand zu schnell. Wer schreibt, muss langsam denken.
Selbst wenn man nur etwas abschreibt, das man gar nicht selbst ausgedacht hat, müssen die Wörter zuvor im Gehirn gespeichert werden. Dann erst können sie geschrieben werden.
Das Gehirn funktioniert so, dass es zum Beispiel die Gestalt eines Baumes, also das „Baumbild“, in einzelnen Zeichen umwandelt, die den Baum als Klangwort abbilden. Es macht aus dem bildhaften Baum ein Wort, das aus den Buchstaben B, a, u und m besteht. Dann kann man das Bild Baum lesen. Buchstabe für Buchstabe entstehen Wörter, deren Ursprung Gedankenbilder sind. Und genauso beginnt auch Schreiben lernen in der Schule: Buchstabe für Buchstabe.
Später schreibt man dann so, dass man in Wörtern denkt, und nicht mehr in einzelnen Buchstaben. Diese sind bis dahin längst wieder vergessen. Sie sind inzwischen so tief im Gehirn verankert, dass sie wie von alleine aus dem Füller fliessen. Man denkt dann nur noch an das, was man schreiben will. Die einzelnen Buchstabenformen interessieren nicht mehr, weil das Gehirn längst weiss, wie es geschrieben werden.
Sinn und Zweck des Schreibens ist die Kommunikation, deshalb muss das Geschriebene lesbar sein, mehr nicht. Wer darüber hinaus auch ansprechend, kraftvoll und dynamisch schreiben möchte, muss mehr über die Handschrift und Schreiben wisse, als heutzutage an Schulen unterrichtet wird.
Quelle: Lesbar schreiben. S. 15-16. (2010). E.A. Seemann Verlag. ISBN: 978-3-86502-244-8