Gut zu wissen
Zurück zum SuchergebnisEine Anleitung zur Schärfung des Schreibgefühl-Sinnes

In einer Welt, wo unsere Sinne permanent gefordert, ja sogar überreizt sind, werden die stillen und besinnlichen Momente immer wichtiger. Wenn Sie noch nie Schreibgefühl empfunden haben, erhalten Sie hiermit eine Anleitung zur Schärfung dieses Sinnes.
Nun, es gibt viele Möglichkeiten, wie man einen gefassten Gedanken festhalten kann. Je nach Methode wird auch gleich noch die entsprechende Stimmungslage, in welcher der Gedanke gefasst wurde, mitgezeichnet. So enthält eine Audio- oder Videobotschaft, wie wir sie täglich auf unserem Anrufbeantworter oder den neusten Gerätschaften erhalten, neben der effektiven Mitteilung auch noch einen hohen Anteil von Gefühlen. Diese unmittelbare Kommunikation zum Ausdruck von Bestimmtheit und Emotionen verleitet uns leider zunehmend zu unüberlegten und wenig fundierten Äusserungen. Die
wohlbedachte und ausgefeilte Botschaft ist somit in der digitalen Umsetzung eine Seltenheit.
In der Welt der analogen Techniken sind die Möglichkeiten in den letzten Jahrzehnten weitgehend ausgeschöpft worden, eine wirkliche Innovation fi ndet vermutlich nicht mehr statt. Bleistift, Kugelschreiber, Tintenroller und Füllfederhalter funktionieren in der Regel einwandfrei und sind so bereit, unsere Gedanken direkt durch eine kontrollierte Handbewegung als eine Folge von Buchstaben auf dem Papier festzuhalten. Auch hierbei wird die Stimmungslage sichtbar, wenn auch sehr dezent.
Jede dieser Schreibtechniken vermittelt ein Schreibgefühl. Beim Tintenroller oder Kugelschreiber entscheidet der Kugeldurchmesser, das Kugelmaterial und die Viskosität der Flüssigkeit über die Gleiteigenschaften beim Schreiben und ist somit mehr oder weniger konstant. Beim Bleistift kann über die Wahl der Härte der Graphitmine der Abrieb und somit das Schreibgefühl beeinfl usst werden und führt zu sehr guten Resultaten. Leider finden Karten und Briefe, die mit dem Bleistift verfasst wurden, nur wenig Anklang.
Das Schreiben mit der Feder ist somit die einzige Technik, die nachhaltige Lesbarkeit mit individuellem Schreibgefühl verbindet. Der Füllfederhalter ermöglicht Ihnen somit nicht nur die Optimierung Ihres persönlichen Schriftbildes, sondern unterstützt auch Ihre Schreibgewohnheiten und macht das Verfassen eines Briefes zum Erlebnis. Einige werden sich nun fragen, von welchem
Gefühl oder Erlebnis hier überhaupt die Rede ist. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie, wenn Sie den für Sie perfekten Füllfederhalter in der Hand halten, erkennen werden, was ich meine.
Bei dieser Erkenntnis verhält es sich wie mit dem Wein. Über Jahre kosten Sie guten Wein, erfreuen sich an verschiedenen Rebensorten und haben Ihre klaren Lieblinge in mannigfacher Geschmacksrichtung. Sie empfinden diese Weine gerade mit einem spezifi schen Gericht oder in der Kombination mit einem Käse als Wohltat für Gaumen und Geist. Doch eines Tages trinken Sie ein Glas eines wirklich einzigartig wohlschmeckenden Weines und spüren dieses spannende, wohltuende und innige
Gefühl, das Ihr ganzes Verständnis des Trinkgenusses relativiert. Von diesem Tag an verändern sich Ihre Anforderungen
betreffend des Weingenusses spürbar und der Spruch «Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken!» erhält eine nachvollziehbare Bedeutung. Natürlich sind Sie noch immer nicht überzeugt, dass es dieses Schreibgefühl wirklich gibt und ich kann Ihre Skepsis verstehen.
Als Ingenieur habe ich mit nicht berechenbaren Gegebenheiten schon immer meine Mühe bekundet. So war in meinen Anfängen als Schreibgerätehändler und Vermittler von Schreibkultur nur wenig Verständnis vorhanden, wenn Kunden von der perfekten Feder oder von einem Schreibgefühl sprachen, das ich leider in keiner Art und Weise nachvollziehen konnte. Galant brachte ich in dieser Zeit für alle viel Verständnis auf und versuchte immer zu glauben, dass die Unterschiede gross sind. Aber leider waren mir das Gefühl und die Erkenntnis über Jahre nicht vergönnt.
An einem sonnigen Tag Ende Juli, ich erinnere mich noch genau daran, wollte ich für mein Patenkind eine Geburtstagskarte
schreiben, aber mein Füllfederhalter war schon nach dem Aufsetzen des Entwurfs leer und der Behälter mit meiner Lieblingstinte stand auf meinem Schreibtisch in meinem Daheim. Spontan entschloss ich mich aus dem Schreibgerätekorpus meines Geschäftes, der Papeterie Landolt-Arbenz in Zürich, einen Füller zu erhaschen.
Bei einem Kauf überlegt man sich ja nun, ob man Gefallen am Schreibgerät empfi ndet, ob es die richtige Farbe hat, ob das Gewicht sowie das verwendete Material den Wünschen entsprechen und vieles mehr. Da ich aber keine Kaufabsichten hegte, entschied ich mich für einen Kolbenfüllfederhalter in Ebonit mit einer breiten Feder. Die Karte befand sich bereits auf dem Tisch und das Schreiben konnte sofort beginnen. Schon der Aufstrich zeigte den kräftigen Tintenfluss und die nachfolgenden Linien sogen sich so harmonisch und ohne Makel in das Papier, dass sich ein Gefühl von Freiheit und Genugtuung ausbreitete. Ich fühlte mich einfach segensreich. In Kürze war die Karte fertig geschrieben und ich empfand dieses unverkennbare
Wohlgefühl, wie ich es früher nur gespürt hatte, wenn ich fast schwerelos über einen frisch beschneiten Hang hinuntergleitete.
Seit diesem Erlebnis gehöre auch ich zu dem privilegierten Kreis der Menschheit, dem das Glück vergönnt ist, bewusst dieses Schreibgefühl zu erleben. Natürlich hat sich seit diesem Zeitpunkt das Verhältnis zu meinen Füllfederhaltern und zum Schreiben verändert. Es zählt nicht mehr in erster Linie Design oder Marke, sondern stets zuerst das Schreibgefühl.
Um Ihnen dieses Schreibgefühl spürbar zu machen, bedarf es weiterer persönlicher Erläuterungen meinerseits. Da es sich in meinem Fall um einen Zufall handelte, beruht meine Anleitung auf meiner Erfahrung als Berater von vielen zufriedenen Kunden:
1. Wählen Sie ein Papier aus, das Ihnen in all seinen Eigenschaften positiv vertraut ist.
2. Schreiben Sie einen Text, den Sie mit Freude mehrfach wiederholen würden.
3. Bestimmen Sie Ihre bevorzugte Federbreite. Finden Sie heraus, ob Sie lieber mit einer harten oder einer weichen Feder schreiben.
4. Sie benötigen Geduld und ein Quäntchen Glück, um den passenden Halter mit der entsprechenden Feder zu finden. Es gilt auszuprobieren, bis Sie sich unendlich befreit fühlen.
5. Kaufen Sie den Halter unbedingt, egal wie er aussieht und was er kostet. Allenfalls würden Sie es Ihr Leben lang bereuen.
6. Achten Sie darauf, dass beim Erleben des perfekten Schreibgefühls ein hohes Suchtpotential besteht.
Ein individuelles sowie intimes Schreibgefühl zu erfahren, steht jedem Schreiberling zur Entdeckung bereit.
Quelle: Scriptura 2011 - S. 35-37