Gut zu wissen
Zurück zum SuchergebnisDie Handschrift lügt nicht

Wahrheit oder Lüge? Seit Jahrhunderten versucht man diese Frage mit verschiedensten Methoden zu beantworten. In Zukunft soll eine einfache Schriftprobe zeigen, was Sache ist und damit umstrittene Techniken wie zum Beispiel den Lügendetektor ersetzen.
Ob aus Höfl ichkeit, Scham oder Angst – wir alle lügen praktisch ständig. Bis zu 200 Mal am Tag schummeln und mogeln wir. Und müssen dafür kein schlechtes Gewissen haben, denn Lügen ist eine Art gesellschaftliches Schmiermittel. Ohne Flunkerei würden wir manchen Mitmenschen vor den Kopf stossen oder gar unglücklich machen. Ganz anders sieht es aus, wenn eine Lüge ein Delikt, eine Straftat verbergen soll. Hier besteht ein grosses Interesse, die Wahrheit herauszufi nden. Zu diesem
Zweck bediente man sich im Laufe der Jahrhunderte verschiedenster, oft sehr brutaler Methoden. Mit Hilfe der Folter sollen Menschen auch heute noch zum Geständnis gebracht werden – was oft sogar gelingt. Ob aber das Geständnis auch der Wahrheit entspricht, das steht auf einem anderen Blatt. Fakt ist: Für Menschen gibt es nach wie vor keine sichere Methode
um herauszufi nden, ob jemand lügt oder nicht. Auch wenn wir glauben, wir könnten Lügen zumindest im Alltag sehr gut erkennen, so ist die Trefferquote gemäss Experten nur minimal besser als der Zufall. An rund 300 Studenten haben Forscher an der Universität Mannheim untersucht, welche Alltagsstrategien sie beim Enttarnen von Lügnern anwenden. Ihnen wurden Filme mit Fahrschülern gezeigt, bei denen sie zwischen ‹wahr› und ‹gelogen› unterscheiden sollten. Eine ‹ehrliche› Gruppe von
Fahrschülern, die den Fahrausweis schon besassen, erzählte darin von der erfolgreichen Prüfung. Eine zweite, ‹unehrliche› Gruppe tat das ebenfalls – hatte die Prüfung jedoch noch vor sich. Die Trefferquote der Studenten lag bei 54 Prozent.
Puls als Indikator
Vor beinahe hundert Jahren wurde an der Universität Graz ein Apparat entwickelt, der die Atmungsphasen und den Puls registriert und an dem abgelesen werden sollte, ob die Versuchsperson lügt. Dies war der erste Polygraph,
umgangssprachlich Lügendetektor. Er basiert auf der Annahme, dass Menschen beim Lügen nervös werden, was sich auch in körperlichen Reaktionen äussert. Seitdem haben sich Polygraphen in vielen Ländern verbreitet, besonders beliebt sind sie in den USA. Unter Fachleuten ist diese Methode aber umstritten, denn die Reaktionen, die der Lügendetektor aufzeichnet, zeigen nicht Wahrheit oder Unwahrheit auf, sondern nur gerade eine Momentaufnahme. Kritiker bemängeln, dass es keine wissenschaftlich haltbaren Beweise gibt, die die Zuverlässigkeit belegen. Zudem können die Tests manipuliert werden. Und nicht zuletzt können Fehlinterpretationen grossen Schaden anrichten. Auch andere Methoden, wie zum Beispiel Infrarotkameras, mit denen die Durchblutung des Gesichts sichtbar wird, was ein Indikator für Lügen sein kann, gelten als wenig zuverlässig.
Unkontrollierte Handschrift
Die Forscher Gil Luria und Sara Rosenblum von der Universität Haifa in Israel arbeiten jetzt an einer neuen Methode. Eine einfache Schriftprobe soll in Zukunft helfen, Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Wie das? Tatsache ist, dass bestimmte physikalische Eigenarten einer Handschrift bewusst kaum zu kontrollieren sind. Wie lange ist der Stift auf dem Papier, wie lange schwebt er darüber? Wie viel Druck wird ausgeübt? Wie lange und wie hoch ist ein einzelner Schreibschwung? Solche charakteristischen Merkmale der Handschrift können die Forscher mit Hilfe eines speziell entwickelten Computer-Schreibtabletts
messen. Für die Studie mussten 34 Studenten jeweils einen wahren und einen erfundenen Text auf einer mit Sensoren ausgestatteten Oberfl äche aufschreiben. Resultat: Die wahrheitsgetreuen Texte unterschieden sich stark von den erlogenen. Von den Studenten unbemerkt hatte sich beispielsweise das Grössenverhältnis verschiedener Buchstaben zueinander verändert. Die Wissenschafter erklären das damit, dass ein schreibender Mensch nicht darüber nachdenkt, wie gross beispielsweise
ein E im Vergleich zu einem U ist. Ab dem Alter von etwa 20 Jahren ist Schreiben nämlich ein automatisierter Vorgang. Wird aber gelogen, dann werden diese automatisierten Prozesse zumindest teilweise unterdrückt, weil das Lügen einen Teil des Hirns absorbiert, der dann beim Schreiben fehlt. Zwar können Menschen mehrere Dinge gleichzeitig tun, also beispielsweise kochen und sprechen oder duschen und singen. Aber dieses sogenannte Dual Tasking hat auch seine Grenzen. Sobald nämlich die eine Aufgabe zu komplex wird, leidet die Ausführung der anderen. Das kann dazu führen, dass ein Lügner durch seine Handschrift enttarnt wird, denn immerhin muss er einige Aufgaben gleichzeitig lösen. Er muss sich eine Lüge ausdenken, sie überzeugend formulieren, darauf achten, dass er sich nicht verrät, die Reaktionen der anderen beobachten und dazu ständig
die Wahrheit unterdrücken, die er möglicherweise intuitiv äussern würde. Kein Wunder, dass unter diesen Umständen im Schriftbild Änderungen sichtbar werden.
Schlüssel zur Wahrheit?
Auf der Basis dieser Erkenntnisse könnten neue Lügendetektoren entwickelt werden, denn ganz ohne Maschinen dürfte es den Menschen weiterhin unmöglich sein, den Wahrheitsgehalt einer Aussage hundertprozentig zu beurteilen. Dies liegt einerseits daran, dass Lügner – entgegen der landläufi gen Meinung – oft nicht an ihrem Verhalten erkannt werden können. Fachleute sind überzeugt, dass wer die Unwahrheit entlarven will, stärker auf den Inhalt des Gesagten achten muss. Konkret heisst das:
Sind die Argumente überzeugend? Gibt es Widersprüche? Gibt es Einzelheiten, die der Befragte gar nicht wissen kann? Aber auch ein noch so erfahrener und professioneller Ermittler stösst an seine Grenzen, wenn er an einen richtig guten Lügner gerät, der sich einfach nicht erwischen lässt. Und auch Menschen mit bestimmten psychischen Störungen erfi nden dermassen gute Geschichten, dass man ihnen nur schwer auf die Schliche kommt. Und wie es bei Kindern üblich ist, so gibt es auch Erwachsene, die glauben, sie hätten ihre erfundenen Geschichten tatsächlich erlebt, und die diese entsprechend überzeugend darstellen. Jedenfalls darf man gespannt sein, ob dereinst tatsächlich die Handschrift der Schlüssel zur Wahrheit sein wird.
Quelle: Scriptura 2011 - S. 25-27