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Die Big Five der Handschrift
Dass Handschrift „bewegt“ sind und Stimmungen sowie Gefühle transportieren, haben Sie schon gehört. Aber dass sie Besonderheiten haben, die sie exklusiv und prominent machen, selbst wenn sie unlesbar sind, diese Erkenntnisse wird neu sein. Die Big Five, dass sind fünf Eigenschaften, die nur die Schrift der Hand hat, die ihren Ausdruck prägen und ihre Form.
Ich nenne diese fünf die Basisfaktoren der Handschriftästhetik. Und wenn hier von Ästhetik die Rede ist, dann ist damit nicht das Aussehen, die Schönheit der Handschrift gemeint, sondern nur die Voraussetzung dafür, dass heisst: Weil Handschriften echt, spontan, intuitiv, individuell und unregelmässig sind, ist diese Schrift Handschrift, fehlt eine der Eigenschaften, dann ist es keine Handschrift mehr, sondern eher Kalligrafie.
Die Big Five sind die, die der Handschrift Leben einhauchen. Womit auch geschrieben wird, sie sind immer mit von der Partie. Jede Handschrift, ob von Kindern, mit Bleistift oder Edelfeder geschrieben, mit künstlerischer Energie oder von zittriger Greisenhand, immer ist sie echt, spontan, individuelle, emotional und unregelmässig.
Echt/authentisch
ist sie, weil sie der einzigartigen, unverwechselbaren und nur dieser einen, spezifischen „Gehirnfestplatte“ des Schreibenden entspringt, weil nur er auf diese Weise schreiben kann.
Spontan
ist sie, weil sie geschrieben wird, ohne an die Buchstaben zu denken, also ohne speziellen Gestaltungswillen.
Individuell
ist sie, weil keine zweite Schreibweise identisch ist.
Intuitiv
ist sie, weil sie an den unbewussten (emotionalen) Schreibbewegungsablauf gebunden ist.
Asymmetrisch/unregelmässig
ist sie, weil natürliche Schreibbewegungen zu exakter Uniformität nicht in der Lage sind.
Eine besondere Ausprägung der einzelnen „Ingredienzien“ ist nicht erforderliche und wäre auch nicht möglich, weil allein das Vorhandensein ja nicht über das „Design“ der Handschrift aussagt. Die Big Five sind also nur symptomatisch und müssen vorhanden sein, nicht mehr.
Die Big Five sind die Quelle der Handschriftvitalität, jener starken Ausdruckskraft, die in China und Japan ausgebildet und im Westen nicht mehr gern gesehen und möglichst unterbunden wird. Doch es ist genau die ausdrucksstarke Vitalität der Handschrift, die sie auf eine Stufe mit jeder anderen Ausdrucksästhetik stellt, wie zum Beispiel mit der des Tanzes (Bewegung), des Schauspiels (Gestik/Mimik) und des Gesangs (Stimme). Diese Position begründet die Kunsttauglichkeit der Handschrift. Denn allen Künsten sind vergleichbare Ausdruckskriterien immanent, wie die Big Five der Handschrift, infolgedessen ist sie auch kunstfähig. Wie könnte der Westen den östlichen Standard erreichen? Indem man die Handschrift aus der Umklammerung kalligrafischer Massstäbe befreit, nach den Kriterien der Big Five anleitet und Schreiben in der Schule nicht auf Stifte und Füller beschränkt, sondern zum Beispiel Kunstunterricht anbietet, der intellektuell und manuell der sino-japanischen Schreibkunst entspricht.
Quelle: Lesbar schreiben. S. 64-65, 69. (2010). E.A. Seemann Verlag. ISBN: 978-3-86502-244-8