Gut zu wissen
Zurück zum SuchergebnisKult um die flexible Feder

Federlesen
Ein jedes Land hat seine typische Handschrift und die dazu passende Feder. Die ‹gotische› Handschrift der Deutschen verlangt nach der breiten und schräg geschliffenen OB-Feder. Die italienische filigrane Schrift verlangt nach feinen Federspitzen. Die rundere Schrift der Amerikaner wird gerne mit Nadelspitzen und beinharten Federn geschrieben. Dartfedern nenne ich solche mir gänzlich unsymphatischen Federn. In der Sammlerszene weltweit wird aber ein besonderer Kult um die flexible Feder gepfl egt. Nur kann die heutzutage gar keiner mehr herstellen. Und der ‹Otto-Normal-Schreiberling› kann sie gar nicht mehr schreiben.
Flex und SuperFlex – das sind Vokabeln, die eine spezielle Magie für Sammler historischer Füllfederhalter haben. In regelmässigen Abständen brandet eine Diskussion auf in den einschlägigen Füll-Feder-Foren. «Warum fertigt denn keiner der aktuellen Hersteller mal wieder eine echte FlexyNib?», lautet die verzweifelte Frage. Eine der vielen Antworten: Die Federbauer
können es gar nicht mehr. Eine andere: Der Schreiber von heute kann doch gar nicht mehr damit schreiben.
Beides scheint wahr zu sein. Der Niedergang des Füllfederhalters seit den fünfziger Jahren, ausgelöst durch den Erfolg des Kugelschreibers, hat eine gehörige Portion Wissen vernichtet. Der Hersteller weiss nicht mehr so ganz genau, was denn zu tun ist, um eine fl exible Feder herzustellen und der Durchschnitts-Schreiberling weiss nicht mehr, wie er damit schreiben soll. Er verbiegt die schöne Feder schon beim ersten Wort. Das endgültige Totmacherargument lautet dann: «Für die paar Verrückten lohnt es sich nun wirklich nicht, eine fl exible Feder völlig neu zu konstruieren.»
Aber was macht denn nun eine FlexyNib so spannend? Ich selbst bin in diese Federn verliebt und kann sie gar nicht nutzen. Als Linkshänder die Federspitze von rechts nach links mehr schiebend als ziehend würde eine spitze und fl exible Feder im Papier hängen bleiben. Aber eine schöne Pirouette bekomme ich hin, und allein die erregt bei der Vorführung so sehr die Gemüter, dass die damit ausgerüstete Füllfeder schnell verkauft ist. Oft hab ich den Eindruck, der Kunde kauft die Pirouette,
nicht den Füllfederhalter. Der Zauber ist das Gefühl, das sich einstellt, wenn sich die extrafeine Feder auf dem Papier aufbiegt. Eine Federspannung entsteht, die Tintenspur wird immer breiter. Wenn dann die Feder wieder zurückschwingt, geht auch die Linie zurück zur zarten dünnen Spur. Es scheint, man misshandle die Feder, und doch, wenn es eine echte «Super-
Flex» ist, bleibt sie unversehrt.
Die Eigenschaften einer solchen Feder bilden sich vor allem durch die Konstruktion der Feder. Lange Federschenkel müssen es sein. Das Goldblech muss besonders im Bereich des Luftloches extra dünn ausgewalzt sein. Diese Weichheit muss aber gekontert werden mit einer erhöhten Rückstellkraft. Die Federgeometrie wird so angepasst, dass die Feder ein ‹Gedächtnis› bekommt; sie geht also nach dem Spreizen zurück in die ursprüngliche Lage. Omas hat vor einer Weile versuchsweise flexible Federn bauen lassen, dabei aber nur die Walzung verändert, nicht jedoch die Geometrie der Feder. Das Ergebnis waren
wundervoll weiche Federn, aber beim Spreizen der Feder kommt Angst auf. Es fehlt an Rückstellkraft und schnell bleibt die Goldfeder verbogen zurück.
Auch die Legierung des Goldes bestimmt ganz besonders die Federeigenschaften. Durch einen Glücksfall konnte ich einige historische Goldfedern analysieren lassen. Heraus kam eine spezielle Mischung aus Silber, Gold und Kupfer. Hinzu kam aber auch eine besondere Wärmebehandlung des Goldbleches nach der Pressung zur Schreibfeder. Erhitzt man eine Goldfeder über 30 Minuten kontrolliert in einem Wärmeschrank, erhöht sich signifikant die ‹Rückstellkraft›.
Schön wäre es, wenn ein ‹Nibmeister› der verbliebenen grossen Marken sich in solche flexiblen Federn verlieben würde. Nur dann, verliebt, fernab von kalten Faktoren wie Absatzpotentialen, kann es noch einmal passieren, dass der kleinen Randgruppe von Fans der SuperFlex-Feder eine solche Feder auf einem modernen Füllfederhalter präsentiert wird. Da bleibt also vorerst nur die Suche nach einem antiken Füllfederhalter mit flexibler Feder. Swan Pens aus den dreissiger Jahren, Omas Federn von 1930 bis 1960 haben Erstaunliches zu bieten. Manche Montblanc und Pelikan Füllfederhalter aus der selben Zeitspanne kann man noch finden.
Quelle: scriptura 2011 - S. 75-77