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Zurück zum SuchergebnisInterview mit dem Lichtkünstler Julien Breton
Die Verwendung von Licht als Ausdrucksmittel gibt es wahrscheinlich seit Urzeiten der Menschheit. Heute sind dank LED und Computertechnologien die Möglichkeiten grenzenlos. Wodurch unterscheiden Sie sich von anderen Lichtkünstlern?
Ich habe mit traditioneller Schriftkunst auf Papier angefangen. Dabei habe ich ein Alphabet entwickelt, das lateinische und arabische Elemente verbindet. 2006 habe ich die Technik des Lightpainting entdeckt, die schon Künstler wie Henri Matisse und Pablo Picasso verwendet haben. Es war für mich eine Offenbarung, zu sehen, wie man mit einer Lampe und einem Fotoapparat mit Licht malen kann. So konnte ich meinen ganzen Körper einsetzen, um meine Schriftkunst zu schaff en, und es wurde mir möglich, die Umgebung in das kalligrafische Bild einzubeziehen.
War dies das Ergebnis eines Zufalls oder einer gezielten Suche?
Es war ein glücklicher Zufall. Ich war allerdings überzeugt, dass es sich um computerisierte Retuschen handelte. Eines Tages schlug der Fotograf Guillaume Plisson vor, mir die Technik des Lightpainting zu zeigen. Ich sagte, ich sei an der Arbeit mit dem Computer nicht interessiert, mich interessiere die Spontaneität, der Live-Charakter des Schreibens. Er sagte nein nein, das hat mit Computern nichts zu tun, das ist eine fotografische Technik. Das war grossartig. So konnte ich die Schrift im Raum entfalten.
Ihre Kunst wird oft mit Graffiti in Zusammenhang gebracht. Zu Recht?
Die Kultur der Graffiti hat mich stark beeinflusst. Und viele Graffiti-Künstler sind vom Lightpainting beeinflusst. Die Gemeinsamkeit mit meiner Arbeit ist, dass Graffiti im öffentlichen Raum, auf der Strasse stattfinden und dass sie den Raum zurückerobern, den die Werbung besetzt hält. Die zweite Gemeinsamkeit ist die völlige Destrukturierung und Freiheit, die ich mir in meiner Schreibkunst erlaube, auch gegenüber der arabischen Kalligrafie. Damit entferne ich mich von den ausgetretenen
Wegen. Was man sieht, kann man nicht lesen, es ist eine grafische Form, die an Kalligrafie erinnert.
Akzeptiert man in der arabischen Welt Ihre Verbindung von lateinischen und arabischen Elementen?
Oh ja, auf völlig unglaubliche Weise. Als ich in Tunesien eine Performance machte, sagte mir jemand: Du hast etwas von unserer Kultur genommen, hast es mit der deinen vermischt und gibst es uns zurück. Das war für mich das schönste Kompliment, vor allem, da es von einem Araber kam.
Für die traditionelle Schriftkunst war Hassan Massoudi Ihr grosses Vorbild.
Ja, und das bleibt er. Er hat in mir die Lust zur Schriftkunst geweckt. Auch menschlich ist er für mich das grosse Vorbild.
Sie verbinden die Schriftkunst mit dem Tanz. Wie geschieht dies in der Praxis?
Das ist die Verwirklichung eines Traumes. Durch den Rhythmus, das Tempo, die Bewegung gleicht Schriftkunst der Musik und
dem Tanz. Ich habe entdeckt, dass ich in der Lichtkunst die Buchstaben nach einer Choreografie meines Körpers entwerfe. Deshalb wollte ich, dass die Schriftkunst auf der Bühne dieselbe Bedeutung wie Musik und Tanz erhalten. So sind zum Beispiel
drei Minuten Tanz zu sehen, dann hört man nur Musik, und die Tänzer verharren bewegungslos, das Licht wird gedämpft,
ich trete auf die Bühne und realisiere meine Licht-Schriftkunst, synchronisiert mit der Musik.
Sie nennen sich Kaalam, das bedeutet Kommunikation. Mit wem und worüber?
Das eine ist die Kommunikation mit dem Publikum. Das andere ist mein Bestreben, die arabische und die westliche Welt auf
einer gemeinsamen emotionalen Basis zusammenzubringen. So möchte ich zwei Kulturen miteinander verbinden, die oft im
Konflikt miteinander stehen.
Entsteht da nicht ein Widerspruch zur vergänglichen Natur des Lichts, wenn Sie Ihre Performances fotografisch festhalten?
Ja, es gibt diesen Widerspruch. Aber die Tatsache, eine Dokumentation von etwas Vergänglichem zu behalten, bleibt für mich
wichtig. Aber ich räume ein, dass es faszinierend wäre, die vergängliche Seite weiterzuverfolgen.
Verzichten Sie völlig auf den Computer zur Gestaltung Ihrer Kunst?
Ja. Es gibt keine Tricks. Es ist mir sehr wichtig, dass die Präsentation jedes Mal neu und live ist.
Quelle: Scriptura 2014, S. 10-13