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Kunst aus dem Zigaretten-Automaten
Wir hatten die Idee bei einer Tasse Kaffee, als wir das Rauchverbot in Zürich diskutierten», sagt Dinda Reumer mit Schalk
in den Augenwinkeln, «meine Kollegin Marlen Groher und ich stellten uns vor, dass jetzt viele Zigarettenautomaten leer
dastehen und umgenutzt werden müssen.»
Dinda Reumer ist gelernte Dekorateurin, jetzt tätig unter anderem in den Bereichen Illustration und räumliche Inszenierung.
Marlen Groher arbeitet als Produktdesignerin; ihr Label: M3E-Design. Wir unterhalten uns in einem Atelier nahe der bunten Zürcher Langstrasse; vier kreative Frauen, darunter eine Silberschmiedin, arbeiten in den Räumen mit niedrigem Mietzins und viel Patina. Die Bezeichnung Designomat war rasch gefunden, ein Anbieter von preisgünstigen Occasion-Automaten ebenfalls.
Die beiden Frauen begannen, mit Künstlerinnen und Künstlern Kontakt aufzunehmen, die bereit waren, eine Hunderterserie eines Opus herzustellen, das in einer Automatenschublade Platz findet und acht Franken kostet. Je die Hälfte, vier Franken, gehen an die Kunstschaffenden, die anderen vier Franken an das Designomat-Team. Für die jungen Frauen ist klar, dass dies kein kommerzielles Projekt ist, dass sie aber auch kein Geld drauflegen wollen.
Zweimal im Jahr können sich Künstlerinnen und Künstler mit Vorschlägen bewerben, um damit die Automaten mit neuem Kulturgut zu füllen. Bei den Objekten handelt es sich wahrhaft um Minimal Art, von gestrickten Ohrenwärmern für einzelne Ohren bis zu den Glücksscherben einer kleinen Keramikmanufaktur aus Gänsbrunnen SO. Dank Designomat wird Künstlern wie Albert Gübeli eine Plattform ermöglicht, der für die ausrangierten Zigarettenautomaten Quattro Colori entwickelte, einen farbigen Spielwürfel. Oder Melanie Akeret, die eine kleine, weisse Stoffpuppe mit rotem Herz beisteuert; handgemacht,
notabene, und aus Baumwolle. Der Renner war eine Schlüsselkappe mit einem Gesicht, zur Erkennung des Schlüssels;
hundert Exemplare wurden im Nu aus den Automaten gezogen.
Irgendwie weht der Geist afrikanischer Bazars durch dieses Projekt, kreatives Grassroot zu tiefsten Preisen und Löhnen.
Inzwischen ist unser Kaffee durch die Maschine getropft, eine altertümliche, silberne Espressokanne, wie sie in Italien
in jeder Wohnung steht, und wir erfahren mehr über das schräge Projekt. Dank der Website (www.designomat.ch)
kommen immer wieder Anfragen, auch aus dem Ausland. So hat sich ein Dozent einer Kunstschule aus Luxemburg gemeldet,
vier Klassen beteiligten sich, mehrere Vorschläge konnten realisiert werden. Inzwischen haben Dutzende von Designern aus verschiedenen Disziplinen und aus mehreren Ländern rund fünfzig Objekte geschaffen. Auch Absolventen der Zürcher F+F Schule für Kunst- und Mediendesign sind unter den Kreateuren. Bei Designomat geht es nicht nur um die Füllung von Automaten, sondern um den Kontakt mit schöpferischen Menschen.
Sieben Designomaten stehen heute in der Limmatstadt, unter anderm im Foyer des Schiffbaus oder im Museum Bellerive; geplant sind insgesamt zehn Standorte und ein mobiler Automat für temporäre Einsätze. «Rund um diese umgenutzten
Zigarettenautomaten passiert viel», fasst Dinda Reumer das Experiment zusammen, «wir wollen das Projekt weiter entwickeln, bei hundert Objekten einen Zwischenbericht verfassen und in einer nächsten Phase vielleicht auch grössere Automaten aufstellen, wie man sie an Bahnhöfen für Zwischenverpflegungen sieht.» Doch dafür braucht es Sponsoren. Über die Plattform «100 Days» (www.100-days.net), welche Sponsoren-Beiträge für Künstlerinnen und Künstler sucht, tröpfelt auch Geld für die Zukunft von Designomat herein. Mit 10 000 Fr. an Sponsorengeldern ist das Fundament für die nächste Etappe des Projekts gelegt.
Die Leute wählen eher Objekte mit einem praktischen Verwendungszweck, und Künstlerinnen und Künstler mit grossem Netzwerk verkaufen mehr, weil Bekannte aus Sympathie zugreifen. Am Preis von acht Franken für die Kunst aus dem umgenutzen Zigarettenautomaten wird nicht gerüttelt.
Quelle: Scriptura 2013, S. 31